2 Gänge in Aachen…

…oder: “Ich habe die Schaltung in den Beinen”

Warum dieser Untertitel? Beim Kauf des Rabeneick Niagara habe ich ganz oft an meinen Papa und an die von ihm und mir gefahrenen Fahrräder denken müssen. Wie viele andere Kinder auch hatte ich ganz am Anfang ein Singlespeed Fahrrad. Also ein Fahrrad mit einem Gang, ohne Gangschaltung, aber natürlich mit einem Freilauf (und Stützräder in meinem Fall). Und wie die meisten Kinder wollte ich recht bald ein Fahrrad mit Schaltung haben. Tatsächlich bekam ich irgendwann ein erstes Gazelle mit Piet Pelle und das hatte dann eine eine Fichtel & Sachs Torpedo Dreigang H3111S, eine großartige Sache, hat man sich doch vorher aufgrund der kleinen Reifen und der niedrigen Entfaltung dumm getreten, wenn man mit den Erwachsenen mitgefahren ist.

Die Räder wuchsen, mit ihnen die Reifen und die Entfaltung. Ich bin früher sehr viel mit meinem Papa Rad gefahren, es war eines seiner wenigen Hobbies. Oft zogen mich seine Freunde auf, dass ich ja noch keine 21, 24 oder gar 30 Gänge hätte. Ich antwortete immer darauf, ich bräuchte das nicht, hätte doch die Schaltung in den Beinen.

Wie viele Dinge, änderte sich auch diese Einstellung und ich bin geschätzt seit mindestens meinem 13, 14. Lebensjahr Kettenschaltung gefahren. Es ist ein bisschen so wie mit dem Megaherzwahn früherer Prozessorzeiten: Je mehr, desto besser. Natürlich ist das quatsch, da viele Gänge schlicht und ergreifend doppelt sind.

Mittlerweile habe ich selber Kinder, mein Alu-Leichtbau wich schon vor einigen Jahren einem stabilen Stahlrad, aber der Drang schnell zu fahren, der blieb.

Im Dezember vergangenen Jahres las ich diesen SpOn Artikel und stieß auf das Niagara mit der S2 Duomatic von Sturmey Archer. Ich habe immerhin 2 Monate mit mir gehadert und ein wenig gespart und das Rad dann über Radsport Beckers in Brand zum Preis von 649€ bezogen:

Rabeneick Niagara S2 Duomatic

4 Monate später bin ich mit diesem Rad rund 1000km in Aachen und Umgebung gefahren und habe jede Minute genossen. Einige Steigungen musste ich Anfangs mit der direkten Übersetzung von 42:18 im Stehen fahren, aber dies hat sich nun auch gegeben. Die 2 Gänge mit einem Übersetzungsverhältnis von 138% machen mir zusammen mit der Übersetzung durchweg Spaß, auch an den steileren Stellen Aachens:

Sturmey Archer S2 Duomatic

Generell fährt sich die Sturmey Archer Duomatic S2 sehr gut. Ein kurzer Tritt nach hinten schaltet hoch, der nächste wieder runter. Meistens brauche ich eine halbe Kurbelumdrehung. Man gewöhnt sich relativ schnell daran, dass man etwas den Druck von der Kette nehmen sollte. Wenn man im Stand die Pedale durch Rückwärtstreten in die “Schokoladenstellung” bringen möchte, hat das natürlich einen (oder mehrere) Schaltvorgänge zur Folge, von daher ist es besser, passend zum Stehen zu kommen oder aber mit beiden Beinen gleichermaßen gut antreten zu können.

Da das Niagara serienmässig StVO konform kommt, entfällt natürlich der ganz saubere Look eines Fixies, aber mit den Bremszügen der V-Brakes kann ich gut leben.

Ganz toll finde ich den bis jetzt extrem zuverlässigen Shutter Precision Nabendynamo, der weder so langweilig die Shimanos aussieht noch so teuer wie die Edeluxe ist. Ja, eine festintegrierte Beleuchtungseinheit hat das Niagara trotz des niedrigen Gewichtes von unter 12kg mit Pedalen auch:

Shutter Precision 8

Geändert habe ich die Pedale, den Sattel und die Griffe. Die mitgelieferten Union Pedale sind zwar grundsätzlich nicht schlecht, mir gefiel nur der Kunststoff-Look nicht und ich habe statt dessen die BLB Track Pedale in Schwarz montiert. Die Abdeckung der Pedalachse ist passenderweise Gold:

BLB Track Pedale

Überhaupt nicht bequem und auf gar keinen Fall schön war der Originalsattel im Fake Krokoleder Look. Einfach nur hässlich waren die Griffe im selben Stil und die Decals auf dem Rahmen. Letztere habe ich abgelöst, die Griffe durch Moosgummigriffe von Crankbrothers ersetzt und den Sattel durch einen Swift Chrome in schwarz. Ich liebe die Leder Sättel von Brooks und komme mit ihnen sehr gut zurecht:

Brooks Swift Chrome

Mit dem Sattel einher ging eine Veränderung der Sitzposition und den Vorbau habe ich ebenfalls tiefer gestellt. Damit fahre ich auf ebener Strecke sehr bequem einen Schnitt von 28 bis 30km/h und fühle mich sehr wohl dabei.

Standardmässig sind Schwalbe Kojaks aufgezogen. Die sehen schon relativ extrem aus, so ganz ohne Profil, aber fahren sich erstaunlich gut, selbst im Regen hatte ich auf der kurzen Strecke keine ernsthaften Probleme. Ich hatte mal den Marathon Racer, den fand ich viel schlimmer (zumal der quasi ständig platt war):

Kojak

Alles in allem mag ich das Fahrrad sehr. Es war nicht allzu teuer, mir persönlich gefällt die Optik extrem gut und es macht Spaß damit im Alltag zu pendeln. Ein trainierte Fahrer kann damit auch in Aachen eine tägliche Strecke von über 20km gut bewältigen. In die Eifel oder auf längere Tagestouren würde ich allerdings nicht unbedingt damit fahren wollen. Das Fahrrad ist für mich alltagstauglich (natürlich weniger zum Einkaufen, mehr zum Pendeln) und eine schöne Antithese zum grassierenden E-Bike Trend.

Der Sattel ist übrigens der zweite Grund, warum ich mit diesem Post am Europäischen Tag des Fahrrades an meinen Papa denken muss. Er war gegen Ende seines Lebens sehr krank und hatte Probleme, längere Zeit noch im Sattel zu sitzen. Leider half ihm auch ein vollgefederter Brooks für eine aufrechte Fahrweise nicht mehr. Er hatte nicht mehr genügend Zeit, ihn einzufahren.

Ganz oft, wenn ich los fahre und antrete denke ich an Dich, Papa. Wie wir über Schaltungen gewitzelt haben, Touren gefahren sind und Du mir meine Heimat gezeigt hast. Ich wünschte, Dein Brooks hätte noch genügend Zeit gehabt, so bequem zu werden, wie es meiner heute ist.

Geschrieben am Dienstag, 03. Juni 2014 von Michael J. Simons in Fahrrad und verschlagwortet mit