Mit diesem Post bewege ich mich tatsächlich einmal auf Neuland, es geht um relativ leicht verdauliche Klassik mit Folk- und Jazzeinflüssen.
Anna Katharina Kränzlein hat sich als zweite vom Schandmaul Team “selbstständig gemacht” und ein Soloalbum veröffentlicht.
Ohne lange ab zu schweifen, das erste Soloalbum aus dem Schandmaul Dunstkreis ist Das zweite Ich von Weto. In Weto spielen Thomas Lindner, Martin Duckstein, Stefan Brunner und Matthias Richter aus Schandmaul, quasi Schandmaul ohne die Mädels. Weto machen sehr viel rauere und direktere Musik als Schandmaul. Rockig und gut, die Snippets auf der verlinkten Homepage sind es wert, angehört zu werden.
Von den genannten Musikern spielt der letzte, Matthias Richter, ebenfalls Bass auf Annas Album. Dabei ist er in bester Gesellschaft, wenn er Klassiker wie “Czardas” (den im Gegensatz zum Presseinfo nicht jeder kennt, zumindest ich nicht), “Introduction et Rondo capriccioso, op. 28” und die Habanera aus Carmen sowie die Eigenkompositionen Annas begleitet: Curt Cress spielt Schlagzeug. Cress ist zumindest noch ein Name aus dem Booklet, den ich aus einem anderen Booklet kenne: Er spielte Schlagzeug auf dem 1985er Album Mr. Bad Guy eines meiner Idole, Freddie Mercury. Das Album ist natürlich kein Queen Album, aber gut genug, um nicht in der hinteren Ecke meiner CD Sammlung zu vergammeln.
Zu Anna: Anna wird dieses Jahr 27 (ist also z.B. ein gutes Stück jünger als ich), ist seit fast 10 Jahren mit Schandmaul super erfolgreich unterwegs, studierte erfolgreich Diplomgeigerin, nimmt klassischen Gesangsunterricht und spielt in einem Barockorchester. Einer der Menschen, bei denen ich mich frage, ob ihre Tage deutlich mehr als 24 Stunden habe, um ihrer Passion nachzugehen.
Mal abgesehen davon, daß ich solche Leidenschaft bewundere, ist Anna Kränzlein auch noch toll anzuschauen, sowohl auf der Bühne, im Booklet und auf Promobildern.
Mit Leidenschaft ist auch das Booklet gemacht: Aufwendig und wertig kommt die CD im Digipack daher, mit echtem Cover und keinem Alibiblättchen, mit dem viele andere Neuerscheinungen aufwarten. Neben ähnlich guten Künstlerfotos (genau wie im letzten Schandmaul Album) gibt es persönliche Kommentare von Anna sowie Hintergrundinformationen zu jedem Song. Die Informationen sind besonders interessant bei den 5 klassischen Stücken, da mit Sicherheit viele Schandmaulfans genau wie ich wenig Berührung mit dem Material haben und Anna nicht von ihrer klassischen Seite kennen.
Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube die Liebe zur Geige geht bei Anna soweit, dass sie auf dem Rücken zwei Tätowierungen in Form der F-Löcher im Geigenkorpus hat. Sehr coole Idee und sehr schmückend.
Zur CD selber: 5 klassische Stücke treffen auf 4 Eigenkompositionen, in 2 Liedern hört man ihre Stimme intensiver als auf allen Schandmaulalben zusammen.
Wenn ich im folgenden etwas zu den Songs schreibe, möge man mir bitte mein Ungebildetsein im Bereich klassischer Musik nachsehen.
Czardas fängt ruhig und melancholisch an, um im ersten drittel zusammen mit Bass und Schlagzeug an Tempo zunehmen, quasi “abzugehen”. In dem Lied sehe ich mehr Temperament als Herzschmerz.
Direkt beim ersten Lied merkt man, dass bei der CD ein Profi am Werk, die Scheibe kann man auch getrost laut hören, ohne das es scheppert. Sehr gelungen.
Die Bergkönigin könnte auch die mächtig aufgebohrte Melodie eines Schandmaulssongs sein (was gar nicht so abwegig ist, hat Anna doch die Schandmaullieder für Kunststück für Orchester neu arrangiert). Das Lied macht gute Laune und ist von vorne bis hinten tanzbar.
In der Habanera aus Carmen singt Anna das erste Mal: L’amour est un oiseau rebelle, Love is a rebellious bird. Wie ein Vogel klingt das Lied auch, flatterhaft und frei, für meine ungeübten Ohren nur durch den Bass im Käfig gehalten (der Käfig ist in diesem Fall ausgesprochen schön).
In allen Quellen, in denen ich etwas gestöbert habe, wird die Introduction et Ronda capriciosa, op. 28 von Camille Saint-Saëns als extrem schwieriges Geigenstück beschrieben. Ich trau mich zu sagen, das man das sogar als Laie hört. Oder um es mit Helge zu sagen: “Alle Töne auf einer Geige wollen gespielt werden.”
Zu den Teilen des Liedes, für die Anna Kränzlein neue Schlagzeug und Bass Linien geschrieben hat und in denen das Tempo deutlich höher ist, fällt mir auf, das man sich als “Metalfan” gerne öfter mal das “Original” an Soli anhören könnte. Original im Sinne von “richtig” klassisch anstatt nur ein “irgendein” Solo mit viel Tamtam gespielt.
Gerade ungeübte Ohren haben durch Schlagzeug und Bass etwas mehr Gefüge in den Liedern, da es ja nicht immer einfach ist, die Strukturen in klassischen Kompositionen zu verfolgen.
Amelie ist bis jetzt mein Lieblingssong von Neuland. Eröffnet wird er mit der von Schandmaul bekannten Drehleier. Anna schreibt, das sie der Film “Die wunderbare Welt der Amelie” zu diesem Lied inspiriert hat. Das Lied fängt die Stimmung des Films perfekt ein.
Bei Che faro muss ich zwangsweise an Vom Suchen und Finden der Liebe denken, der einzigen Orpheus und Euridice Interpretation, die ich vollständig kenne und mir genauso zwanghaft die Frage stellen, ob ein Opernbesuch nicht mal ein Versuch wert wäre, auch wenn ich mich sehr an Gesang in Sprachen, die ich überhaupt nicht verstehe, gewöhnen müsste. Irgendwie habe ich diesbezüglich immer eine Blockade im Kopf.
Vazou, genuschelt für Versuch. Ich frage mich, ob so ein Song komplett “aufgeschrieben” oder nur im Grundgerüst skizziert und dann improvisiert ist. Neben Amelie find ich diesen für mich persönlich am interessantesten. Ich finde, er ist ein bisschen schizophren: Die Melodie schwankt für mich zwischen Melancholie und Leidenschaft, ein bisschen wie die Liebe. Schönes Lied.
Zusammenfassend kann ich sagen, ich mag die Idee dieses Soloalbums und ich mag die Umsetzung auch. Sicherlich verstehe ich rein technisch vieles nicht, aber ich weiß meistens, was mir intuitiv gefällt und was nicht. Außerdem, das Album rockt schlicht und ergreifend ohne aufdringlich und schreiend laut zu sein, wie das einzige andere Album dieser Richtung, das ich kenne zu sein (The Violin Player von Vanessa Mae).
Anna Kränzlein und ihre Begleitung schaffen es, Annas Leidenschaft auch für einen Laien in einer Form darzubieten, das es einfach Spaß macht, zuzuhören und sich auch mal knapp 45 Minuten Zeit für die 9 Tracks zunehmen und einfach mal Musik zu hören und nicht etwas anderes dabei zu machen. Die neuen Spuren und Melodien geben den alten Melodien genügend Raum und drücken sie nicht mit Lärm an die Wand wie im oben erwähnten Album.
Vielleicht hat mir auch die Musik von Bear McCreary und Murray Gold im letzten Monat ein wenig die Ohren geöffnet. Anna Kränzleins Neuland erinnert mich teilweise von der Idee an den Soundtrack von Battlestar Galactica Season 2: Alt trifft neu und die Mischung funktioniert.
Wahrscheinlich kann ein trver Metaller nichts mit der Musik anfangen, aber der hat sich vermutlich auch schon drüber aufgeregt, das Schandmaul auf dem Wacken Open Air waren. Allen anderen sei eine moderne CD ans Herz gelegt, die sowohl zum entspannen als auch zum tanzen einlädt und mir auch ohne viel klassisches Wissen großen Spaß macht.
An dieser Stelle auch ein persönlicher Gruß: Weiterhin ganz viel Erfolg und genügend Energie, alle Deine Ideen umzusetzen.
Weitere Informationen zu Anna Kränzlein, Schandmaul und Co. gibt es hinter den folgenden Links:
Mehr über Schandmaul in diesem Blog:
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